Dem Tod von der Schippe gesprungen
LEBENSWEGE Wie Gudrun Sandler gegen die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs ankämpfte
und wie sie heute Leidensgenossen ein Stück Hoffnung schenkt.
VON UNSERER MITARBEITERIN SONNY ADAM
Mainleus — Gudrun Sandler sitzt in ihrem gemütlichen Esszimmer am Tisch und holt ein Röhrchen aus ihrem Büro. Sie lacht dabei. Denn sie ist froh, dass „diese Dinger“ aus ihrer Bauchspeicheldrüse entfernt werden konnten. In dem Röhrchen liegen kleine bröselige Steine.
„Sollen wir es wirklich aufmachen – es kann sein, dass die Steine etwas seltsam riechen“, meint Sandler – und soll Recht behalten. Die Brocken muffeln in der Tat. „Das sind meine Pankreassteine“, berichtet die 61-Jährige. Im Alter von 28 Jahren wurden sie ihr entfernt. „Ich hatte immer Bauchschmerzen. Als ich ein Kind war, haben die Ärzte immer gedacht, ich habe zu viel Süßes, zu kalt, zu viel oder zu schnell gegessen“, sagt sie. Erst eine endoskopische Untersuchung brachte den wahren Grund des jahrelangen Martyriums ans Licht: Pankreassteine. Diese bilden sich aufgrund entzündlicher Prozesse. Oft führen solche Steine zu Stauungen.
Wie Messer im Bauch „So war es auch bei mir. Die Steine konnten nicht zertrümmert werden, ich brauchte eine Operation“, sagt Sandler. Danach fasste die gelernte Kinderpflegerin neuen Lebensmut und machte eine Umschulung zur Reisekauffrau. Doch einige Jahre später waren die Schmerzen wieder da. „Ich hatte plötzlich kurz vor Weihnachten schwere Koliken. Mit dem Hubschrauber flog man mich nach Erlangen. Es waren Schmerzen, als ob jemand einen Gürtel um meinen Bauch immer enger schnüren und dazu noch mit einem Messer in den Bauch stechen würde. Es war nicht auszuhalten“, erinnert sie sich mit Schrecken. Die Diagnose stürzte Gudrun Sandler in die schlimmste Krise ihres Lebens: Krebszellen in der Bauchspeicheldrüse, oftmals ein Todesurteil. „Ich hatte Glück, dass mein Mann die Gefahr erkannte und ich mit den Ärzten in Erlangen wirklich gute Gespräche führen konnte. In einer sogenannten Whipple-Operation wurde die komplette Bauchspeicheldrüse entfernt“, so die 61-Jährige.Doch was hinterher auf sie zukommen würde, ahnte sie nicht. Denn die Bauchspeicheldrüse ist für die Verdauung wichtig. „Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich mehr machen konnte als vom Sofa zur Toilette und wieder zurückzugehen“, blickt Gudrun Sandler zurück. Sie nahm Enzyme, wie von den Spezialisten verordnet, verzichtete auf blähende und schwer verdauliche Lebensmittel. „Inzwischen esse ich alles, worauf ich Lust habe. Ich habe immer Hunger – und Enzyme nehme ich auch nicht mehr, weil sie bei mir immer zu Durchfällen und Magenschmerzen geführt haben“ , sagt sie. Um mit der schweren Erkrankung nicht allein zu sein, suchte die Mainleuserin eine Selbsthilfegruppe auf, informierte sich über die Erfahrungen, die andere Menschen in der gleichen Lage gemacht haben. Und inzwischen leitet Sandler selbst die Selbsthilfegruppe für Oberfranken. „Mir hat die Gruppe damals sehr geholfen – allein schon deshalb, weil man sich austauschen konnte. Und über Nacht war ich Vorsitzende der Regionalgruppe.“ Jetzt möchte Gudrun Sandler ihre ganz persönlichen Erfahrungen an andere weitergeben. „Wir reden, wir informieren uns, wir essen zusammen“, erklärt sie. „Ich habe lernen müssen, auf meinen Körper zu hören. Die Botschaft, die ich jedem nur mitgeben kann, lautet: nicht aufgeben!“, sagt sie. Natürlich verlaufe Bauchspeicheldrüsenkrebs oft tödlich. „Aber wir gedenken nicht der Toten, wir feiern, dass wir leben“, sagt Sandler. Und dieses positive Lebensmotto gibt sie andere weiter. Einer von ihnen ist Wolfgang Schumann (76). Er geht regelmäßig zur Selbsthilfegruppe. Wichtig für ihn ist es, Erfahrungen auszutauschen. „Schnitzel mit Pommes esse ich gerne, aber die Zitrone würde zu heftigen Schmerzen führen“, erklärt er. Auch andere Zitrusfrüchte und Obst oder Sauerkraut verträgt Schumann nicht. Reiner Merz (76) lebt seit 16 Jahren mit der Diagnose Pankreas-Krebs. In der schlimmsten Phase seiner Krankheit hat er 35 Kilo abgenommen, langsam hat ihn seine Frau wieder aufgepäppelt. Seit zweieinhalb Jahren musste er keine Chemo mehr über sich ergehen lassen. Die Selbsthilfegruppe ist für das Ehepaar Merz wichtig, denn bei Gleichgesinnten holt sich das Ehepaar Merz Tipps.
Elfriede Sattler (76) hat immer Hunger – das ist typisch für Menschen, die Probleme mit der Bauchspeicheldrüse haben. Sie bestellt im Restaurant Zander und Gemüse, auf Salat und Fett verzichtet sie. Alkohol ist absolut tabu.
Zurück zu Gudrun Sandler. „Für mich ist es das Wichtigste, dass ich meine vier Enkel aufwachsen sehen kann“, erzählt die 61-Jährige. Sie macht keinen Hehl draus, dass ihre Leistungsfähigkeit noch immer geschwächt ist, doch ihr Glücksempfinden ist noch intakt. „Ich weiß inzwischen, dass ich kein Obst essen kann. Salat macht mir aber nichts“, sagt sie. Als Nebeneffekt der Pankreatektomie hat sie Diabetes Typ 3 bekommen. Das bedeutet: Gudrun Sandler muss ständig ihren Blutzucker messen und den Insulinspiegel mit einer Pumpe regulieren. „Ach, man gewöhnt sich daran. Ich habe meine zwei Kästchen immer dabei. Und ich weiß auch, dass eine Einheit eine Scheibe Brot ist. Wenn der Zucker steigt, spritze ich ihn runter“, sagt sie und gibt diese positive Einstellung auch an all die anderen Mitglieder ihrer Gruppe weiter. „Viele denken, sie müssten gleich ihr Testament machen, wenn sie die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen. Ja, die Krankheit kann tödlich sein, aber ich kenne auch Leute, die leben schon 20 Jahre und länger damit“, macht Gudrun Sandler allen anderen Mut. Hobbys hat Gudrun Sandler auch: Sie liebt es, zu angeln. „Früher konnte ich es mir gar nicht vorstellen, dass es Spaß machen kann, stundenlang am Ufer eines Sees zu sitzen. Doch jetzt bin ich begeistert. Zwei Jahre nach der Operation habe ich eine Angel halten dürfen, ein kleiner Fisch biss an. Das war so ein tolles Gefühl, dass ich meinen Angelschein gemacht habe“, sagt Gudrun Sandler. In diesem Jahr standen schon zwei Angelurlaube in Schweden und bei Magdeburg auf dem Programm. „Beim letzten Mal habe ich einen ein Meter großen Hecht gefangen, der hatte 27 Pfund“, freut sich die Mainleuserin und fügt noch hinzu: „Mein Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll …“
Das sagt der Experte
Statistik
Lutz Otto vom Bundes- Arbeitskreis der Pankreatektomierten kennt die aktuellsten Erhebungen aus dem Jahr 2017. Damals wurden in Deutschland 18 687 Neuerkrankungen registriert, gleichzeitig starben 18 005 Menschen an Bauspeicheldrüsenkrebs, was auf die schlechte Prognose hinweist. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei neun Prozent. Im Einzelfall kann es aber ganz anders aussehen.
Therapie
Für die meisten Menschen mit Bauchspeicheldrüsenerkrankungen sind Ersatz-Verdauungsenzyme lebensnotwendig. Nur wenige Patienten können auf die Einnahme von Enzymen verzichten. Aufgrund neuer besserer Therapieformen ist heute ein Überleben mit Bauchspeicheldrüsenkrebs durchaus möglich. Als Betroffener sollte man versuchen, sich mit der schlimmen Diagnose auseinanderzusetzen und die Erkrankung anzunehmen. Hilfreich kann es sein, seine Ängste und Nöte in der Familie und/oder mit Freunden zu besprechen. Helfen kann dabei auch die Konsultierung eines Onkosychologen. „Um die Behandlung selbst zu unterstützen, raten wir dazu, die Lebenseinstellung und die Lebensweise zu ändern“, sagt Otto. Patienten sollten mit dem Rauchen aufhören, auf gesunde Ernährung achten und Sport treiben. Unterstützend können auch komplementär-medizinische Maßnahmen sein.
Gespräche Auch der Austausch mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe kann laut Otto Ängste nehmen. Wer die Erkrankung durchlebt hat, kann vielleicht den einen oder anderen Tipp geben. Das Fazit des Experten: „Der Patient sollte in der Phase seiner Erkrankung wirklich alles das tun, worauf er Lust hat und was ihm möglich ist.“
Sonny Adam – BLICK NACH FRANKEN am Montag 11. Oktober 2021